Helmut R. Schulze – Der Weltenbummler
von Frank Krämer • Ausstellungskurator Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Helmut R. Schulze kann viel erzählen. In seinem heutigen Domizil in Heidelberg mit einem wundervollen Blick über den Neckar beginnt das erste Treffen, um die Schlüsselbilder zur Deutschen Wiedervereinigung zu sichten. Er kommt gleich zur Sache und zeigt Aufnahmen aus seinem schier unerschöpflichen Fotoarchiv. Darunter Reisereportagen aus allen Winkeln der Erde, beeindruckende Naturphänomene, Fotografien internationaler Stars und Momentaufnahmen deutscher Politik. Es sind faszinierende Bilder, die gerade deshalb begeistern, weil sie über den allgemeinen Bildkanon hinaus an die Geschichte ihrer Entstehung erinnern. Helmut R. Schulze weiß zu jedem Bild eine Geschichte zu erzählen: wie es entstanden ist, wie der Auftrag der Redaktion lautete, wie er sich auf die Situation vorbereitet hatte, welche Ausrüstung er verwendete und weshalb gerade diese – es wird immer spannender –, und schon ist man mitten drin in den aufregenden Lebensgeschichten des Helmut R. Schulze. Als "grandioser Bildermacher", "Virtuose an der Kamera" oder als "Meister seines Fachs" eilen ihm viele Auszeichnungen voraus, die so kein anderer Bildjournalist in Deutschland auf sich vereinen kann. Geboren 1929 in Bad Liebenwerda, 60 km nordwestlich von Dresden, genießt er als sportbegeisterter Junge eine sehr strenge Erziehung durch seinen Vater. Motiviert für seine späteren Reisen wird er von seinem Großvater, einem Oberpostrat, der ihm leidenschaftlich und bildhaft vom Leben in Amerika, Asien und Afrika erzählt, ohne je eines dieser Länder besucht zu haben. Aus diesen "erzählten Reisen" des Großvaters werden bald Traumreisen des jungen Helmut R. Schulze, die er später in seiner beruflichen Laufbahn real nachholen wird. Zwei Wochen vor dessen Ende wird er als Jugendlicher in die Wirren des Zweiten Weltkrieges hineingezogen und landet schließlich in russischer Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg von Sachsen-Anhalt nach Niederbayern gekommen, holt er 1951 sein Abitur in Rosenheim nach. Sein Berufswunsch ist Mediziner, doch die besonderen Lebensumstände führen ihn 1956 nach Andernach zur Bundeswehr. Er ist knapp 40, Oberstleutnant bei der Bundeswehr in Garmisch, als ihn eine schicksalhafte Begegnung mit seinem späteren Mentor, Franz Burda, zusammenbringt. Der schneidige Oberstleutnant Helmut R. Schulze ist mit der Organisation eines Balls für die Gebirgstruppe in Garmisch beauftragt, für dessen Tombola noch Spender gesucht werden. Einen findet er in der Person von Franz Burda, der wegen seiner militärischen Kenntnisse sogleich zum kongenialen Gesprächspartner wird. Als der Verleger von den Urlaubsplänen des Oberstleutnant erfährt, der zwei Monate mit einem VW-Bus durch die Sahara fahren will, ist der erste Reportageauftrag für Helmut R. Schulze kurzerhand beschlossene Sache und der erste Fotobericht in der Zeitschrift Bunte in Aussicht. Vorerst lässt er sich beurlauben, um 1970 den Dienst endgültig, mittlerweile im Rang eines Oberstleutnant bei der NATO in Mannheim-Seckenheim, zu quittieren. Eine unglaubliche Reise durch die Welt nimmt hier ihren Anfang. Am Ende werden es über 100 Fotoberichte, die er aus den entlegensten Zipfeln der Erde an Burda schickt. Als freier Mitarbeiter der Bunte pflegt er eine sehr gute Beziehung zu seinem Mentor, den er "Senator" oder "der Alte" nennt. "Ich habe damals ganz wilde Sachen gemacht", berichtet der heute 85-Jährige immer noch mit leuchtenden Augen und erzählt, wie er als einer der Ersten die Berggorillas im Kongo fotografierte oder 1975 weltexklusiv Bilder von der Wiedereröffnung des Suez-Kanals in die Verlagszentrale sendete. Seine Aufsehen erregenden Bilder vom persischen Hof sorgen für Rekordauflagen in der Heimatpresse. Der Globetrotter Helmut R. Schulze scheut weder die Hitze der Sahara noch die Nachkriegswirren in Afghanistan. Er lebt eine Woche mit den "Steinzeitmenschen" auf den Philippinen, er bereist Ägypten, berichtet aus Irans Foltergefängnissen und von brennenden Ölfeldern in Kuwait. Schier unendlich lässt sich die Liste der Länder und Orte dieser Welt fortsetzen, die er als Autodidakt mit der Kamera aufsucht. Bei einem seiner Einsätze in Ägypten gewinnt Helmut R. Schulze rasch das Vertrauen des Staatspräsidenten und späteren Friedensnobelpreisträgers Anwar el Sadat. Sein auf Drängen der Witwe Sadats erschienenes Erstlingsbuch "Sadat – der Ägypter", in dem er Interviews mit Henry Kissinger oder König Hassan II. von Marokko vereint, ist längst vergriffen. Helmut R. Schulze ist auch vor Ort, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Ägypten besucht, und zwischen beiden entwickelt sich über die Jahre hinweg eine intensive, von gegenseitigem Vertrauen geprägte Freundschaft. Jenseits der vielen spektakulären Reisen bis zur Antarktis sind es vor allem die Momentaufnahmen der deutschen und internationalen Politik, die ihm den Titel "Gefolgsmann der deutschen Politik" einbringen. Von Helmut Schmidt bis zu Helmut Kohl hat er alle namhaften Politiker seiner Zeit abgelichtet. So ist er der einzige Journalist, der den Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker seit Anfang des Jahres 1985 auf allen Reisen ins Ausland begleitet und dabei sämtliche 40 Staatsbesuche auf den fünf Kontinenten mit seinen Kameras festgehalten hat. Nie zuvor ist ein Journalist den Spuren eines deutschen Staatsoberhauptes so ausdauernd und zielstrebig gefolgt. Staatsbesuche, Auslandsreisen, private Momente. Er ist der deutschen Politik dicht auf den Fersen und meist zur Stelle, wenn seine Kollegen noch auf dem Weg sind. Sein besonderer Ehrgeiz und der sprichwörtliche lange Atem zeichnen ihn für seine besondere Herangehensweise aus, eben das Besondere aus der Situation, dem Tagesgeschehen herauszuholen. Als fotografischer Berichterstatter gelingt es ihm, Momentaufnahmen der deutschen Geschichte abzulichten, die ohne seine persönliche Beziehung zu den abgebildeten Politikern nicht möglich gewesen wären. Sein unermüdlicher Einsatz wird belohnt, als er 2001 aus der Hand von Bundespräsident Johannes Rau "als einer der Großen seines Fachs, einer der erfolgreichsten und anerkanntesten deutschen Bildjournalisten" das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse verliehen bekommt. Die große Presselandschaft mit Bunte, Quick, Epoca, Der Spiegel, Focus, Gala, Welt am Sonntag, Zeit, FAZ, Time, Paris Match haben seine Berichte und Fotos abgedruckt. Und Helmut R. Schulze weiß genau, dass das beste Bild nichts taugt, wenn es nicht abgedruckt wird. Es ist diese besondere Veranlagung, die einen Fotojournalisten seines Schlags auszeichnet. Denn "zur Ausübung dieses Berufs", so schreibt es der Redakteur Kurt Hahne 1914, gehört Veranlagung: Sie erfordert einen ganzen Mann, Energie, Zähigkeit, Geistesgegenwart, Gewandtheit, Auffassungsgabe, List, Phantasie, Initiative und persönlichen Mut, um unvorhergesehenen, oft unüberwindlich erscheinenden Hindernissen mit Erfolg zu begegnen. Es sind die Bilder, die uns die Welt erklären, so das Credo von Helmut R. Schulze. Es wird spät auf dem Schlossberg in Heidelberg.